Im November 1948 berichtete die Weltpresse über die Erfindung des röhrenlosen Radios. Der damals 32jährige Elektriker Robert Denk, der in einer Flüchtlingsbaracke in Witzenhausen bei Kassel hauste, stand plötzlich im grellen Licht des öffentlichen Interesses. Ihm war das gelungen, wonach die Wissenschaft seit Jahren suchte: er erfand das Radio ohne Röhren und ohne Heizstrom. In einem kleinen Zylinder war das Geheimnis verborgen - ein Mittelding zwischen einem Detektorkristall und einer Radioröhre. Die Erfindung war ein Kind des Zufalls und ein genialer Einfall zugleich, die eine Umwälzung der gesamten Radioindustrie hätte zur Folge haben können. Doch es kam anders. Das röhrenlose Radio erreichte niemals das Stadium industrieller Auswertungsmöglichkeit, sein Erfinder geriet in die Hände verantwortungsloser Geschäftemacher. Er erlebte einen schweren Rückschlag, als sich die Oxydschicht im Zylinder als nicht witterungsbeständig erwies. Niemand bot ihm die wirtschaftliche Grundlage, seine Arbeit fortzusetzen.
Robert Denk kam als Flüchtling aus dem Sudetenland nach
Witzenhausen. Eine verfallene Baracke mußte ihm und elf anderen
Familien als Notasyl dienen, sie blieb die acht Nachkriegsjahre hindurch sein
einziges Zuhause.
Als Elektriker erwarb sich Denk seine technischen
Fertigkeiten. Schon 1942 machte er bei einer Fehlschaltung die sensationelle
Entdeckung, wie zwei bloßgelegte und oxydierte Drähte bewirkten,
daß der Radioapparat weiterspielte, obgleich zwei Röhren
ausgeschaltet waren. Von da an war Denk dem Geheimnis auf der Spur und ruhte
nicht eher, bis ihm nach 400 vergeblichen Versuchen der große Treffer
gelang.
Erst nach der Flucht konnte er die Ergebnisse auswerten. Er
konstruierte einen kleinen Aluminiumzylinder mit einer Elektrode aus einer
Silberlegierung, auf die eine Oxydschicht aufgetragen wurde. Im Februar 1948
spielte der erste röhrenlose Empfänger in der armseligen Baracke am
Motzplatz mit 13 Volt Betriebsspannung in hervorragender Lautstärke und
Trennschärfe. 32 Sender waren allein auf Mittelwelle klar zu hören.
Denk begnügte sich aber nicht mit diesem Einkreisempfänger, der
mit nur drei Taschenlampenbatterien lief. Er wußte, daß er damit
erst am Anfang war.
Einen Radiosuper wollte
er fertigstellen, der nicht größer als eine Zigarrenkiste sein,
aber die Leistung eines Acht-Röhren-Supers mit Kurz-, Mittel-, und
Langwellenbereich haben sollte. Mit der von ihm erfundenen kalten Kathode
ausgerüstet würde ein solcher Apparat in serienmäßiger
Produktion 50 Prozent billiger sein als ein Röhrensuper.
Tag und
Nacht saß der schmächtige, bleiche Mann in seiner mit elektrischen
Apparaturen und Radioteilen angefüllten Kammer. Tag und Nacht arbeitete
er mit Schraubenzieher, Zange und Lötkolben besessen von dieser einen
Idee. Daß seine Familie nicht verhungern durfte, daß er selbst
magenkrank wurde, daß sich Dach und Wände der Baracke
aufzulösen begannen und man bereits Töpfe aufstellen mußte,
um das durchsickernde Regenwasser aufzufangen - das alles nahm er nur wie
durch einen Schleier wahr.
Ja, er wußte, daß es so nicht mehr lange weiterging. Er dachte daran, etwas zu unternehmen, aber dann fesselte ihn wieder die Erfindung. Er setzte alles auf eine Karte - und es gelang. Anfang 1949 konnte Denk ein röhrenloses Radio für drei Wellenbereiche fertigstellen, das auf seiner Hand bequem Platz hatte und vor den kritischen Augen der Fachleute bestehen konnte. Zu diesem Zeitpunkt bemühten sich schon unzählige Interessenten aus dem In- und Ausland um Denks Erfindung. Es waren ernsthafte Käufer darunter, aber auch Scharlatane - wer konnte sie auseinanderhalten? Sie fuhren mit eleganten Autos an der Flüchtlingsbaracke vor und boten Vorschüsse, Gehälter und Kredite an. "Wir machen Sie ganz groß, wenn Sie uns 50 Prozent geben", waren ihre Versprechungen.
Denk war
diesem Ansturm nicht gewachsen, der geschwächte Körper und die
Nerven machten nicht mehr mit. In der Baracke war nicht genügend
Sicherheit gegen Einbrecher vorhanden. Die Stadtverwaltung bot Denk ein
Banksafe, einen Patentanwalt und eine bessere Wohnung an. Denk schlug ab. Er
wollte sich nicht binden, wollte Zeit gewinnen und in Ruhe überlegen.
Inzwischen mußte er wegen seines Magens die Klinik aufsuchen. In seiner
Verzweiflung zerstörte er den einzigen vorhandenen Musterapparat, damit
er nicht gestohlen werden konnte.
Vielleicht wäre es das beste
gewesen, wenn Denk damals eines der Angebote aus Amerika angenommen
hätte. Das aber wollte er um keinen Preis, die Erfindung sollte in
Deutschland bleiben.
Er konnte ja
nicht wissen, wem er schließlich in die Hände fiel. Der
seriöse Herr, der ihm ein äußerst günstiges Angebot
machte und ihn gleich im Auto mit nach Stuttgart nahm, um den Vertrag
auszuarbeiten, war niemand anders als der inzwischen durch einen
Millionenbetrugsprozeß bekanntgewordene Fabrikant Willy Bürkle,
der sich vermutlich auf diese Weise sanieren wollte. Er versprach Denk eine
Rente, Beteiligung an der Produktion und ein neues Haus in Witzenhausen. Denk
unterschrieb, aber schon nach kurzer Zeit teilte ihm die Firma mit, sie
müsse die Zahlung der Rente einstellen, "da seine Erfindung nicht
funktioniere".
Die Firma besorgte sich ein Gutachten über das
röhrenlose Radio und ließ Denk nach und nach fallen, bis sie nach
Aufdeckung des Betruges selbst zahlungsunfähig wurde.
Es wird vielleicht nie geklärt werden, ob
das röhrenlose Radio wirklich nur ein Zufall war, da Denk später
alle Unterlagen vernichtet hat. Fest steht aber, daß es einwandfrei
funktionierte. Auch wissenschaftliche Gutachten bestätigen seinen Wert.
Vielleicht wäre alles gut geworden, wenn Denk Zeit, Ruhe und
wirtschaftliche Unabhängigkeit besessen hätte, weiterzuarbeiten.
Der Betrug der Firma brachte ihn um seinen ganzen inneren Halt. Stadt- und
Kreisverwaltung nahmen sich zwar der Familie Denk an und unterstützten
sie aus der öffentlichen Fürsorge mit zunächst 129.80DM
monatlich und dann mit 233.50DM aus dem Lastenausgleich sowie einigen
Sonderbeihilfen. Was an äußerer Hilfe getan werden konnte, wurde
getan.
Keiner aber konnte dem mit sich selbst verzweifelnden Menschen
über diese Enttäuschung hinweghelfen. Angebote der Stadt, aus der
Baracke in eine anständige Wohnung zu übersiedeln, lehnte er ab,
weil er sich nicht mehr umstellen konnte.
Am frühen Morgen des 19. Dezembers 1950 verschwand Robert Denk spurlos
aus seiner Wohnung. Er hinterließ einen Abschiedsbrief an seine Frau,
aus dem hervorging, daß er sich das Leben nehmen wolle, und einen Brief
an die Behörden, in dem er bat, sich um seine Familie zu kümmern.
Tagelang irrte Denk im Kaufunger Wald umher. Niemand weiß, was ihn
in diesen Stunden bewegt hat. Nach fünf Tagen wurde er mit blutenden
Wunden an den Füßen in Ihringshausen bei Kassel aufgefunden.
Dort brachte man ihn wieder zur Besinnung und gab ihm Geld für die
Rückfahrt.
Am ersten Weihnachtsfeiertag 1950 kehrte er zu seiner
Familie zurück. Eine seelische Depression zwang ihn wieder auf das
Krankenbett.
Von diesem Zeitpunkt an ging es mit dem Erfinder des
röhrenlosen Radios immer mehr bergab. Nicht die äußere Not,
die ja durch öffentliche Unterstützung gemildert wurde, nicht das
Wohnungselend und nicht die Schulden, die gemacht wurden, während
zusätzliche Reparaturarbeiten liegenblieben, sondern die
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung über sein Schicksal trieben ihn
schließlich zu dem letzten furchtbaren Schritt.
Vielleicht
offenbart sich in diesem Schicksal wieder einmal die Tragik des Erfinders,
der in Armut und Vergessenheit versinkt, während andere einmal seine
Leistungen für sich ausbeuten.
Achim von Roos